10. September 2018 Hans-Dieter Binder / Bremer Montagsdemo

679. Bremer Montagsdemo am 10.09.2018

Was von der Schrumpfrente übrig bleibt, ist nicht armutsfest

Hans-Dieter Binder

1. In der „Tagesschau“ wurde am 16. August 2018 eine Studie des „Fraunhofer-Instituts“ zum Klimawandel vorgestellt: „Eigentlich hat die Regierung ihr Ziel aufgegeben, die Kohlendioxid-Emissionen bis 2020 um 40 Prozent gegenüber 1990 zu senken. Deutschland könnte sein ursprüngliches Klimaziel für 2020 zur Senkung des Kohlendioxid-Ausstoßes dennoch erreichen – zu diesem Schluss kommen jedenfalls die Autoren einer von ‚Greenpeace‘ beauftragten Studie.

Dem Bericht zufolge wäre das auch möglich, ohne dabei die Stromversorgung zu gefährden. Laut der heute vorgestellten Untersuchung des ‚Fraunhofer-Instituts für Energiewirtschaft und Energiesystemtechnik‘ müssten dafür die ältesten Braunkohleblöcke abgeschaltet werden und einige Braunkohlekraftwerke ihre Leistung leicht drosseln. Außerdem müsste die Wind- und Solarkraft wie im Koalitionsvertrag vereinbart ausgebaut werden.“

Warum diese Möglichkeit unbedingt genutzt werden muss, ist im Beitrag von „Titel, Thesen, Temperamente“ am 26. August 2018 über die Fotografen Cristina Mittermeier und Paul Nicklen zu erahnen. Es geht um das verschwindende Polareis. Schöne Fotos, aber den sterbenden Eisbären habe ich mir nicht angesehen. Wer noch an der Notwendigkeit einer Verhaltensänderung zweifelt, schaue einfach den Bären an.

Auch die anderen Themen sind sehenswert. Der Braunkohleausstieg kostet Geld, der sofortige Ausstieg noch etwas mehr – verhindert aber den Verlust an Mensch und Tier, auch an Pflanzenwelt. Selbst die Standfestigkeit der Zugspitze wäre so zu sichern. Die Änderung des Klimas ist vor der Haustür hörbar. Bei uns fehlt der Gesang der Vögel. Die Meisen sind trotz Fütterung rar, Amseln und Schwalben verschwunden.

Am Sonntagvormittag hatte eine Nachbarin eine Amsel „gefunden“ und ihr Wasser und Körner angeboten. Der Vogel blieb einfach am Fleck. Der „Weser-Report“ meldet: „Usutu-Virus – Das Amselsterben erreicht die Hansestadt. Durch ein afrikanisches Virus verenden in Deutschland zahlreiche Amseln. Nun hat die tödliche Krankheit den Norden erreicht. Davon ist auch besonders Bremen betroffen. Ein Ende der Amseln bedeutet dies aber nicht.“ Die Erwärmung hat es möglich gemacht. Es sind leider noch andere Überraschungen zu erwarten.

Zurück zum Beitrag des „Fraunhofer-Instituts“. Dort werden ausdrücklich die Stromversorgung und Energiesicherheit erwähnt. Um die Stromversorgung nach Abschalten der beiden Atomkraftwerke im Norden hat sich auch die Landesregierung in Hannover gesorgt. Zur Beruhigung steht in der „Braunschweiger Zeitung“: „Keine Probleme für Stromversorgung nach Atomkraftwerk-Aus. Das Abschalten der letzten zwei Atomkraftwerke in Niedersachsen in den Jahren 2021/22 wird laut Energieminister Lies keine Probleme für die Stromversorgung bringen. Sie sei durch erneuerbare Energien und eine Zuhilfenahme fossiler Energieträger wie Gas und Kohle gewährleistet, sagte der SPD-Politiker.“

Kohle als Lückenschließer – warum muss das sein? Es geht doch auch mit erneuerbaren Energien, oder? Die Windkraft wird gedrosselt, weil die Stromtrasse in den Süden noch nicht fertig ist. Diese Verzögerung der erneuerbaren Energien hat zur Folge, dass bei Abschaltung der AKWs die Kohle gebraucht wird. Wenn die zugesagten Rahmenbedingungen für die Windkraft endlich umgesetzt werden, ist die Kohle unnötig. Eines wird durch die Antwort von Herrn Lies klar: Das Argument von Herrn Altmeier, die Windkraft könnten wir erst ausbauen, wenn die Stromtrasse in den Süden fertig sei, ist einfach unstimmig. Atomstrom geht, Windkraft nicht – warum?

Durch das Abwarten und Verzögern verlieren wir eventuell bei der Technik. Im „Weser-Kurier“ steht: „In der Seestadt ist nur noch ein Hersteller von Windkraft-Anlagen übrig geblieben, und der hat Probleme. Was dem Offshore-Standort Bremerhaven gut täte, wäre die Ansiedlung eines weiteren Anlagen- Herstellers.“ Die vorstehenden Probleme sind von der Bundesregierung kurzfristig lösbar, das Nachfolgende auch.

Verschmutzungsrechte sind zugestandene Rechte zur Verschmutzung der Umwelt. Sie sind damals den Energieerzeugern angeboten worden, entsprechend ihrer damaligen Umweltbelastung. Die Energieunternehmen und die anderen Verschmutzer waren aber nicht interessiert. Schließlich wurden diese Verschmutzungsrechte den Energieerzeugern kostenlos überlassen. Außerdem durften die Energieerzeuger den nicht gezahlten Kaufpreis auf ihre Kunden umlegen. Der Stromverbraucher hat so die Bilanz der Energieversorger aufgepäppelt, ohne Gegenleistung.

Diese Verschmutzungsrechte sind an der Börse handelbar. Sie sind nicht ortsgebunden. Wer seine Umweltbelastung reduziert, kann die nicht mehr benötigten Verschmutzungsrechte verkaufen. Das Konzept der Verschmutzungsrechte wurde von der „Mont-Pèlerin-Society“ ersonnen. Das ZDF hat in der Sendung „Die Anstalt“ vom 27. Februar 2018 darüber aufgeklärt, eingebunden in eine erschreckende Zukunftsvision (siehe 660. Bremer Montagsdemonstration).

Die Politik muss auch dies prompt lösen und schnellstens diese Verschmutzungsrechte für ungültig erklären und neutralisieren! Die Handhabung solcher Verschmutzungsrechte blockiert jede Reduzierung der Umweltbelastung, zum Beispiel durch die Abschaltung dreckiger Kraftwerke! Altmeier ist auf Tour, einfach nachfragen: Wieso kann immer noch Natur vernichtet werden, um die Verbrennung von Braunkohle zu sichern? Stromerzeugung geht heute anders. Die Landesregierung kann diesen Irrsinn stoppen!

Natürlich eilen auch andere Vorhaben zur Umweltentlastung. Die Hardware-Nachrüstung bei Dieselfahrzeugen ist überfällig. Bei der Verhandlung können die Politiker gleich nach den Partikelfiltern für Benziner forschen. Vereinbarungsgemäß wurde diese Möglichkeit zur Verringerung der Umweltbelastung nicht eingebaut! Wer hat das vereinbart? Die Autobauer in Deutschland beim regelmäßigen Treffen der Fachleute. Erst ab 2017 hat die EU die Autohersteller zum Einbau verpflichtet.

Inzwischen wurde dem Verkehrsminister ein Gutachten über die Dieselnachrüstung erstellt. Diese sei möglich und sinnvoll, haben die Fachleute festgestellt. Der Verkehrsminister hat das Gutachten veröffentlicht. Die Gutachter monieren, dass Eckwerte verändert wurden und so die Aussage des Gutachtens verfälscht wurde, entsprechend der verkannten Festlegung. So wurde aus „Hardware-Nachrüstung ist lohnend und machbar“ die Feststellung „lohnt nicht, zu teuer und risikoreich“. Hoffentlich veröffentlichen die Gutachter die Urform beziehungsweise die tatsächlichen Feststellungen.

 

2. Spätestens im letzten Drittel des Monats werden Menschen, die nicht einmal den ungekürzten Regelsatz zur Verfügung haben, ihren monatlichen Notfallplan befolgen. Warum so lange warten? Gegenwehr geht jederzeit. Wer aktuell einen Anteil seiner Miete aus dem Regelsatz bezahlen muss – einfach vorbeikommen oder zu einer Beratungsstelle gehen! Das Jobcenter auffordern und notfalls die Hilfe des Gerichts in Anspruch nehmen! In Bremen-Stadt geht es um rund 420.000 Euro monatlich. Die Details stehen in meinen Beiträgen auf unserer Seite.

Wie lebt es sich am sozialen Rand unserer Gesellschaft? „Mal ehrlich: Bedeutet Hartz IV Armut?“ Der „SWR-Bürgertalk mit Florian Weber“ vom 6. Juni 2018 war eine eindrucksvolle Sendung, die auch den Moderator mitnahm. Das ZDF hat in der Sendung „Die Anstalt“ vom 24. April 2018 „Hartz IV – nach der erfolgreichen Antragsstellung“ zum Thema, nachzulesen auf der Seite zur 662. Bremer Montagsdemonstration.

Die Eigenbeteiligung an den Kosten der Unterkunft, also der Miete, ist unerträglich und meistens änderbar, wenn die Betroffenen sich wehren. Das ist einfach, und der Regelsatz steht wieder ungekürzt zur Verfügung. Der Magen freut sich! Wie dies geht? Nachzulesen auf den Seiten zu den vorherigen Bremer Montagsdemonstrationen. Oder einfach vorbeikommen! Bisher hat Bremen keine gerichtsfeste Verwaltungsanweisung zu den Kosten der Unterkunft hingelegt. Das gilt wahrscheinlich auch für die aktuelle. Weiter geht es zu diesem Thema am nächsten Montag. Bundesweit beträgt die „Unterfütterung“ bei den Kosten der Unterkunft 600 Millionen Euro im letzten Jahr!

Das Jobcenter kann nicht das Ausfüllen von Formularen zur Befragung einer eheähnlichen Gemeinschaft verlangen. Der Partner des Hilfeempfängers kann auch nicht vom Jobcenter zur Antragstellung gezwungen werden, hat das Sozialgericht Gießen mit Urteil vom 23. Februar 2016 (Aktenzeichen S22 AS 1015/14) entschieden: „Der Partner eines Leistungsberechtigten ist gegenüber dem Jobcenter nicht zur Auskunft über Einkommensverhältnisse verpflichtet. Die Formblätter des Jobcenters richten sich ausschließlich an Personen mit eigenem Anspruch auf SGB-II-Leistungen.“

„Die Linke“ lädt ein zur Podiumsdiskussion „Hartz IV – Neuausrichtung oder Abschaffung“ mit Dr. Jonas Pieper, Fachreferent des „Paritätischen Wohlfahrtsverbands“, am 13. September 2018 ab 19 Uhr, im Pavillon Außer der Schleifmühle 55-61. Es geht auch um die Schummeleien bei der Regelsatzermittlung. Der „Paritätische“ fordert eine menschenwürdige Neuausrichtung der Grundsicherung für Arbeitslose und eine Regelsatzanhebung auf 571 Euro.

 

3. Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende und finanzpolitische Sprecher der Fraktion „Die Linke“, Fabio De Masi, der mit Anfragen das Chaos bei der Geldwäschebekämpfung beim Zollaufdeckte, kommentiert die neusten Enthüllungen der „Wirtschaftswoche“, wonach entgegen der Aussagen des Finanzministeriums der Rückstau an unbearbeiteten Geldwäscheverdachtsmeldungen keinesfalls abgebaut wurde: „Der Bundestag wurde wohl in mehrfacher Hinsicht belogen. Finanzminister Olaf Scholz behauptete, der Rückstau bei unbearbeiteten Geldwäscheverdachtsmeldungen sei mit einem Jahr Verspätung erledigt. Darüber hinaus habe ich die Bundesregierung gefragt, ob es bei Verdachtsfällen der Terrorfinanzierung zum Verstreichen von Fristen kam, die dazu führten, dass Terrorgeld nicht eingefroren wurde. Dies wurde ebenfalls vom Finanzministerium verneint. In beiden Fällen stellt sich nun heraus, dass die Informationen der Bundesregierung unzutreffend waren.“

Deutschland hat etwas zur Steuergerechtigkeit geplant: Die Mehrwertsteuer für den Internethandel soll nun tatsächlich erhoben werden. Das „Umsatzsteuerkarussell“, ein Milliardenverlust für die Staatskassen, wird dagegen noch immer nicht abgeschafft. Der Betrug per Umsatzsteuer ist einem Bankraub vorzuziehen, nachzulesen auf der Seite zur 60. Bremer Montagsdemonstration. Inzwischen wurden Änderungen vorgenommen und Kontrollen eingebaut, aber der Betrug gelingt weiterhin.

Aktuell wurde wieder ein Fall der Selbstbedienung aufgedeckt: „Berliner Ermittler haben nach Angaben der Staatsanwaltschaft das deutschlandweit größte bekannt gewordeneUmsatzsteuerkartell zerschlagen. Mehr als 50 Beschuldigte sowie mehr als 50 Firmen sollen am Handel mit Kupfer am Fiskus vorbei beteiligt gewesen sein, wie die Staatsanwaltschaft am Mittwoch mitteilte. Es sollen Umsatzsteuern von mehreren 100 Millionen Euro hinterzogen worden sein.“ Hier wurde mit Kupfer gehandelt, wobei die Ware nur der Deckmantel ist. Begehrt sind die Euros!

Deutschland ist das Paradies der Geldwäscher. Die Finanzminister haben bisher alles getan beziehungsweise unterlassen, um anonyme Investitionen in „Betongold“-Immobilien zu ermöglichen. Ausweichen in die Steuerparadiese ist nur ein Umweg. In welchem Umfang Geld verschwindet, hat die ARD festgestellt: Eine Billion Euro aus dem Außenhandelsüberschuss sind nicht auffindbar, siehe 646. Bremer Montagsdemonstration.

In den Medien wird augenblicklich auf die „gute Kassenlage“ hingewiesen: „Es wird mehr Geld eingenommen als ausgegeben“. Mit dieser Feststellung wird die aktuelle Situation überlagert: Die Kassenlage im Bund ist nur deshalb so gut, weil die Zinsen so niedrig sind. Gern wird auch gesagt: „Wir haben Steuereinnahmen in bisher nicht erreichter Höhe.“ Die Inflation wirkt sich eben auch im Volumen aus. Ich habe nichts gegen volle Kassen, im Gegenteil, aber zielgerichtete Fehlinformationen sind in öffentlich-rechtlichen Medien unangebracht!

 

4. Die Rente soll gesichert werden. Sie ist inzwischen um rund 34 Prozent geringer als vor der Rentenreform, nachzulesen im „Faktencheck“ zur Sendung vom 4. April 2017 der Sendung „Die Anstalt“ im ZDF auf Seite 23. Damals waren es 30 Prozent weniger. Aktuell sind es 34 Prozent – es wurde neu gerechnet!

Im „Faktencheck“ erwähnt wird auch das Versilbern der Autobahnen an Konzerne. Die letzte Großkoalition hat den Versicherungskonzernen zugesagt, dass Kredite für den Autobahnbau nur von ihnen in Anspruch genommen werden, und dass die Konzerne eine garantierte Verzinsung von mindestens drei Prozent erhalten. Die gleiche Koalition hat soziale Verbesserungen nicht umgesetzt, obwohl diese im Koalitionsvertrag vereinbart waren.

Was von der Schrumpfrente übrig bleibt, ist nicht armutsfest. Sie festzuschreiben und weiterhin die überwiegende Zahl der Neurentner(innen) in die Armutsfalle zu schicken, ist eine Sackgasse. So lässt es sich nicht gut leben. Notwendig ist die Mindestrente! Sie muss langfristig zugesagt werden, schon um die Akzeptanz der Sozialversicherungsbeiträge zur Rentenversicherung zu erhalten.

In den Nachbarländern ist auch mit geringfügigem Einkommen beziehungsweise ganz ohne Einzahlung ein Leben mit gesetzlicher Rente oberhalb der Armutsgrenze zu genießen. In Dänemark ist mit der Grundrente auch das Pflegeheim bezahlbar. Die Gemeinden umsorgen die alten Menschen. Die Höhe der Grundrente ist eigentlich bereits bei der Geburt bekannt.

In Holland ist bereits mit der Grundrente ein gutes Auskommen möglich. Alle zahlen in die Rentenversicherung ein. Es gibt keine Beitragsbemessungsgrenze, auch Millionäre zahlen auf ihr gesamtes Einkommen Rentenversicherungsbeiträge. Die gut Verdienenden erhalten aber keine entsprechende Rente. Dies ist klar und wird als Solidarbeitrag akzeptiert. Mindestrente und Höchstrente sind an den Mindestlohn gekoppelt.

Auch in der Schweiz ermöglicht schon die Grundrente ein gutes Auskommen, wie in Holland. Der Beitragssatz zur Rentenversicherung beträgt zehn Prozent des gesamten Verdienstes. Der Solidareffekt der Rentenobergrenze ist unstrittig und voll akzeptiert. Oftmals werden gerade die Steuerbelastungen in der Schweiz und in Deutschland miteinander verglichen. Die unterschiedliche Belastung durch die Rentenversicherung habe ich bisher nicht gesehen.

In Österreich zahlen alle in die gesetzliche Rentenversicherung ein. Die normale Rente liegt circa 500 Euro monatlich höher als bei uns. Die eventuelle Pflege kann somit jeder selbst bezahlen; sonst springt der Staat ein. Eines haben all diese Nachbarn gemeinsam: Es sind staatliche Gesellschaften für die gesetzliche Rente zuständig, profitfrei für alle drei „Säulen“. Alle zahlen ein, beziehungsweise es wird für alle eingezahlt. Nur Österreich hat eine Beitragsbemessungsgrenze. Höchstbeiträge führen aber nicht zu Höchstrenten. Die Rentenhöhe ist auch nach oben gedeckelt.

In Dänemark setzt sich die „Folkepension“ aus einem Grundbetrag und einer Zulage zusammen. „Sie ist für alle Dänen gleich hoch, unabhängig vom Einkommen oder den gezahlten Beiträgen. Etwa 1.600 Euro vor Steuern sind es aktuell, die jeder monatlich erhält, der zwischen seinem 15. Lebensjahr und Rentenbeginn mindestens 40 Jahre zwischen Nord- und Ostsee gewohnt hat. Wer es nicht auf volle 40 Jahre bringt, muss zwar Abschläge hinnehmen. Doch hier sind alle abgesichert. Ausnahmen wie in Deutschland für Millionen von Selbstständigen, Freiberuflern und Beamten gibt es nicht“ („Focus“).

Über das Rentensystem in Holland schrieb die Uni Münster im Jahr 2009: „Wer in den Niederlanden lebt, hat mit dem 65. Lebensjahr Anspruch auf eine Grundrente, die das Existenzminimum abdeckt. Unabhängig davon, ob er jemals Beiträge gezahlt hat, bekommt er 45 Prozent seines Durchschnittslohns und mindestens 70 Prozent des Nettolohns für einen Alleinstehenden. Die AOW-Pension wird mit jedem Berufsjahr um zwei Prozent aufgebaut.“ Die Grundrente beträgt 1.100 Euro.

Im November 2016 brachte Maybritt Illner ihre Talkgäste mit folgendem Einspielfilm zum Staunen: „Zwei Facharbeiter verdienen je rund 50.000 Euro im Jahr. Einer arbeitet als Schweißer bei Lufthansa Technik in Hamburg, der andere als Elektriker bei einem Autohersteller in Österreich. Wenn der Deutsche (Jahresbrutto: 52.000 Euro) in Rente geht, kann er aus der gesetzlichen Rentenkasse mit einer monatlichen Zahlung von 2.211 Euro rechnen. Der Österreicher (Jahresbrutto: 49.000 Euro) kann dagegen laut Rentenbescheid mit 2.956 Euro Rente rechnen – und das sogar 14 Mal im Jahr, weil Rentner in der Alpenrepublik auch Weihnachts- und Urlaubsgeld bekommen. Auf den Monat gerechnet sind das rund 3.500 Euro brutto. Damit kommt der Österreicher auf eine Jahresrente von 41.384 Euro, der Deutsche aber nur auf 26.539 Euro – ein Unterschied von fast 40 Prozent.“

„In Österreich zahlen außerdem alle Erwerbstätigen in die gesetzliche Rentenversicherung ein, auch Selbstständige. Ausgenommen sind lediglich Beamte, deren Pensionen aus einem anderen Topf bestritten werden. Österreich zeige, dass der Einbezug der Selbständigen und Beamten wirtschaftlich und rechtlich möglich und umsetzbar sei. Diesen Schritt hat Bundessozialministerin Andrea Nahles am Freitag auch für Deutschland vorgeschlagen.“

Und unsere Rente? Laut Zitaten aus dem „Focus“ ist Frau Nahles von der Regelung in Österreich begeistert. Dieser Bericht basiert auf der Sendung vom 25. November 2016. Was ist dann in die Pläne für unsere Rente eingeflossen? Aus meiner Sicht nur Unwesentliches. Festgeklopft wurde die bereits um 34 Prozent gekürzte Rente. Die geplante Aufstockung als „Solidarrente“ für Rentner(innen) mit geringer Rente ist an Voraussetzungen geknüpft, die sich hoffentlich noch in Luft auflösen!

Der „Focus“ hat über die Verweigerung der Rentenpläne von Frau Nahles durch Herrn Schäuble berichtet: „Am Tag nach dem Rentengipfel herrscht in Berlin Verwirrung um die Finanzierung der Pläne. Ein Sprecher von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) widersprach am Freitag der Darstellung von Sozialministerin Andrea Nahles (SPD), dass die Kosten für die angekündigte Angleichung der Ostrenten an das Westniveau aus Steuergeld bezahlt würden. Es geht um etwa 3,7 bis 3,9 Milliarden Euro pro Jahr. ‚Wir gehen davon aus, dass die Finanzierung aus dem System der Rentenversicherung erfolgt‘, sagte der Schäuble-Sprecher. Genau dagegen hatte sich Nahles aber immer gewehrt.“

Die Rentenangleichung Ost ist trotzdem misslungen. Die Änderungen verursachen neue Schlechterstellungen für Menschen in Ostdeutschland. Die Details ergeben sich aus der MDR-„Fakt“-Sendung „Alt und Arm – wenn die Rente nicht zum Leben reicht“ vom 29. Januar 2018, eingebunden in die präzise Schilderung vieler „Druckstellen“. Die Nachbesserung sollte schnellstens erfolgen – auch für die Menschen mit geringer Rente!

Deutschland hat mit Riester und Rürup die falschen Weichen gestellt. Die insgesamt schlechtere und risikoreichere Alterssicherung ist insbesondere für die Arbeitnehmer teurerer und schlechter als versprochen. Diese Beitragshöhe hätte die gesetzliche Rente nicht gebraucht. Die Deutsche Rentenversicherung muss keinen Gewinn erwirtschaften. Das Drei-Säulen-Modell hat nur über die gesetzliche Rentenversicherung eine breite Absicherung. Die privaten Rentenversicherer leisten dies nicht. Wurde dies bei den Rahmenbedingungen vergessen?

Es ist aktuell für die Arbeitnehmer in Deutschland noch risikoreicher geworden, weil die Rentenversicherung jetzt spekulativer und damit risikoreicher anlegen darf. Das gilt auch für die Betriebsrente. Besonders belastend ist, dass die Versicherungen bei der Betriebsrente keine Ablaufleistung nennen dürfen. Damit sind der Wettbewerb und die Vergleichbarkeit zwischen den einzelnen Gesellschaften per Gesetz verhindert.

Die Rückkehr zur gesetzlichen Rente und die Erweiterung zur wirklichen Solidarrente ohne Profitabschlag sind auch in Deutschland möglich. Ansonsten sind die Argumente der Steinzeit wieder da: Es wird genau beziffert, dass ein Beitragszahler dann soundso viele Rentner versorgen muss. Es wird aber nicht andeutungsweise auf die Produktivitätssteigerung hingewiesen.

In die Zukunft zu schauen ist schwierig. „NDR Info“ brachte einen Bericht über den Getreideanbau: Die Saat wird per Drohne ausgebracht, sie setzt jedes Korn einzeln. Der Abstand wird konstant eingehalten. Die Entwicklung der Pflanzen und ein eventueller Schädlingsbefall werden per Drohne überwacht. Die Düngung erfolgt per Drohne in auf das Wachstum der einzelnen Pflanze abgestimmter Dosis.

Die Gegenwart ist bei der Rente eindeutig. Die Neurenten sind nicht armutsfest. Dies bedarf nicht einmal einer Rentenkommission und duldet auch keinen Aufschub! Sofort handeln ist nötig und auch möglich! In die Zukunft zu schauen und die Ergebnisse der gesellschaftlichen Veränderung durch „Industrie 4.0“ nicht einmal ansatzweise einzubeziehen, ist mehr als fahrlässig.

Weitere Informationen erhalten Sie durch Nutzung der Such­ma­schi­ne auf unserer Homepage, einfach mal ausprobieren! Die Beachtung der sozialen Auswirkungen wird immer zwingender. Wir arbeiten daran! Die Frage „Was kann ich machen?“ ist einfach zu beantworten: Wir haben auf dem Marktplatz noch viel Platz und ein Offenes Mikrofon. Wir sind gespannt auf Ihre Meinung und Erfahrung! Montagsdemo, Kopf zeigen: Ich will die Zukunft lebenswert gestalten!

Hans-Dieter Binder (DIE LINKE, so:leb – Sozialer Lebensbund)

Quelle: http://www.bremer-montagsdemo.de/


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